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Herzensbildung



Neuerdings macht ein alter pädagogischer Begriff die Runde: Herzensbildung. Welche Art von Bildung ist damit gemeint und warum ist sie heute wieder wichtig? Sie ist zunächst Menschenbildung, auch Allgemeinbildung genannt. In der Tradition der Aufklärung meint Allgemeinbildung nicht, dass man von möglichst vielen Dingen ein Grundwissen besitzt, sondern die Fähigkeit zu selbständigem Urteil (vor allem im politischen Bereich), zum Verstehen und Genießen von Kunst und zur Bejahung von argumentativ begründeten Normen.

Herzensbildung ist wie die Allgemeinbildung das Ergebnis von Selbstbildungsprozessen, also von Arbeit an sich selbst, an den eigenen Emotionen und Vorurteilen. Sokrates wählte dafür den Begriff „Selbstsorge“ und meinte damit den klärenden Umgang mit den eigenen Gefühlen und Leidenschaften. „Welche Lebensentscheidungen eine Person trifft, welche tiefen Überzeugungen sie sich zu eigen macht, welche tiefen Überzeugungen sie – im Sinne von Reue und Umkehr – korrigiert, kann sie nur selbst entscheiden.“[1]


Sich zu bilden ist etwas ganz anderes als ausgebildet zu werden. Eine Ausbildung durchlaufen wir mit dem Ziel, etwas zu können, eine Sprache zu lernen oder beruflich erforderliche Kompetenzen zu erwerben. „Wenn wir uns dagegen bilden, arbeiten wir daran, etwas zu werden – wir streben danach, auf eine bestimmte Art und Weise in der Welt zu sein.“[2]

„Bildung findet nicht nur in der Schule statt. Familie, Freundeskreise, Arbeitsplatz, Vereine, Verbände, Stammtische, Arbeitskreise sind immer auch Orte von Bildung.“[3]. Interessanterweise forderte kürzlich auch der Journalist und Blogger Sascha Lobo eine „digitale Herzensbildung“. Sie kann und soll den aktuellen Hasstiraden im Netz vorbeugen.


Herzensbildung zu haben, bedeutet empathisch zu sein: zu spüren, was anderen guttut, und dies dann gern für sie zu tun. Gegenüber der Not anderer gleichgültig zu sein, ist Mangel an Herzensbildung. Und Herzensbildung ist widerständig gegenüber geist- oder lieblosen Trends – immer dann, wenn über Migranten oder über Arbeitslose hergezogen wird, wenn sie ohne wirkliche Fakten diffamiert werden. Da zu widersprechen, ist nicht leicht. Es braucht Mut dazu: man muss sein Herz in beide Hände nehmen.

 

[1] Klaus Mertes: Bildung und Widerstand. In: Barbara Schellhammer/Berthold Goerdeler (Hg.). Bildung zum Widerstand. Darmstadt 2020, 156-166, hier S. 159.

[2] Peter Bieri: Wie wäre es, gebildet zu sein? In: Hans-Ulrich Lessing/ Volker Steenblock (Hg.), Was den Menschen eigentlich zum Menschen macht … Klassische Texte einer Philosophie der Bildung. Freiburg 2010, 203-217, hier S. 206.

[3] Klaus Mertes: Herzensbildung. Für eine Kultur der Menschlichkeit. Freiburg 2024, S. 30.

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